Wenn man Krebs hat, dann liest man überall, dass man Stress vermeiden soll. Wenn man einem Rückfall vorbeugen will, dann soll man Stress vermeiden. Das ist leichter gesagt als getan. Wie kann man Stress vermeiden, wenn die Familiensituation es nicht zulässt.
Ich habe viel darüber nachgedacht und bin zu einem Entschluss gekommen: Es ist nicht angebracht, die Augen zu verschließen und alles nur schön zu denken, denn das Leben ist nicht immer schön. Wenn ein geliebter Mensch, so wie in meinem Fall meine Mutter, einen Schlaganfall erleidet, dann ist das nicht schön. Und es ist eine Tatsache, diesen Umstand gibt es und nun geht es daran, alle Herausforderungen ins Leben zu integrieren.
Meine größte Hilfe sind meine Meditationen, die ich, so gut es geht, wirklich täglich mache. Ich kann mich in dieser halben oder dreiviertel Stunde aus dem Alltag herauskatapultieren und Kraft, Energie und Zuversicht schöpfen, dass alles gut ist, so wie es ist.
Nur selten lässst sich eine Situation verändern, indem man mit Gewalt an das Problem herangeht und auf Biegen und Brechen versucht, eine Veränderung eines Zustandes herbei zu führen. Der Körper verkrampft sich, das Denken wird eng und die Unzufriedenheit wächst von Tag zu Tag.
Meine Erfahrungen haben mich gelehrt, dass das Annehmen und Akzeptieren eines Zustandes, mich den Umstand viel leichter ertragen lässt. Dann kommt mir wieder in Erinnerung, meine Herzqualität zu leben, indem ich mein Herz öffne und über mein Herz atme. Das ist eine ganz einfache Übung und sie verändert so vieles!
So oft ich am Tag daran denke, an manchen Tagen ist es öfter als an anderen, versuche ich, den Atem in mein Herz einfließen zu lassen und alles Belastende danach auszuatmen. Und plötzlich wird mein Herz weit und ich fühle, dass ich eins bin mit der Schöpfung und dass alles zu bewerkstelligen ist.
Man nennt diese Art der Meditation, denn eine solche ist es, Mikromeditation. Im Gegensatz zu den täglichen langen Meditationen lässt sich die Herzatmung leicht in den Alltag einbauen. Wichtig ist nur, sich daran zu erinnern.
Aber trotzdem ist es leichter darüber zu schreiben als es zu leben. Immer wieder hadere ich mit den täglichen Herausforderungen. Immer wieder muss ich mich am Schopf packen und aus meinem Gedanken- und Gefühlssumpf heraus ziehen. Ich brauche ständig die Erinnerung daran, dass alles, was auf mich einstürmt, Gewitter in meinem Inneren sind. Sie beuteln mich durch und wirbeln ganz viel emotionalen Staub auf. Aber dann gehe ich in die Natur und kann mich an deren Fülle, Schönheit und dem Überfluss im wahrsten Sinne des Wortes berauschen. In solchen Momenten erkenne ich, wie wertvoll mein Leben ist und dass ich ganz allein die Fäden für mein Glück oder meine Unzufriedenheit in meinen Händen halte. Dieses Wissen trage ich seit meiner Geburt in mir, nur manchmal rutscht es in Schichten meines Seins, zu denen ich zu gewissen Zeiten keinen Zugang habe oder finde. In einem gescheiten Buch las ich einmal:
„Das Leben ist ein Weg, aber nicht auf irgendetwas hin sondern ein Weg in sich, eine Handlung, ein Spiel, bei dem es darum geht, Freude, Genuss, Vergnügen zu erlangen. Erinnnern wir uns:
Wir sind doch die Augen, die Ohren Gottes, seine Hände und seine Zunge: Erfüllen wir doch unsere Vorbestimmung und Mission- seien wir glücklich!“
Meine Mutter wurde in der letzten Februarwoche aus dem Krankenhaus entlassen. In den fünf Wochen, die seit dem Schlaganfall vergangen sind, hat sie das Schlucken wieder gelernt und der Schlauch, über den sie künstlich ernährt werden musste, konnte entfernt werden. Auch das Sprechen kommt ganz langsam wieder. Da meine Mutter eine 24- Stunden Betreuung braucht, mussten wir einen Heimplatz finden und wir haben einen gefunden. Gott-Göttin sei´s gelobt und gedankt! Sie hat nun ein schönes ostseitiges Einzelzimmer. Mein Vater und ich haben einen Vormittag lang das Zimmer so eingerichtet, in der Hoffnung, dass sie sich wohlfühlen wird. Es wird ja für die Zukunft ihr zu Hause sein und als dieses soll sie es auch empfinden.
Wir besuchen sie sehr häufig, eigentlich kann man sagen, dass fast rund um die Uhr jemand von der Familie bei ihr ist. Sie ist sicher die privilegierteste Patientin im Haus, denn ganz viele Menschen hier bekommen nur sporadisch Besuch oder überhaupt keinen.
Es ist traurig mitanzusehen, dass so das Ende eines langen Lebens sein muss. Die Menschen hier sind sehr liebevoll betreut, aber trotzdem sitzen viele fast den ganzen Tag in ihren Rollstühlen und warten! Aber worauf wartet man noch in diesem Alter, in diesem Zustand? Viele sind teilweise gelähmt oder geistig verwirrt, manche können sich auch mit einem Rollator fortbewegen und ganz wenige können noch ungehindert ihre Beine gebrauchen, haben dafür aber andere Gebrechen.
Es ist die Endstation!!
Auch meine Mutter ist hier gelandet. Es war nie unser Wunsch, einen Elternteil ins Heim geben müssen. Aber die Umstände sind so, dass keine andere Möglichkeit bleibt und so versuchen wir, mein Vater,meine zwei Geschwister und ich, meiner Mutter den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Ich glaube, dass uns dies mit zunehmenden Maße immer besser gelingt.